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Immer mehr und immer teurer. Auch im Jahr 2022 sind die Kosten der Grundversicherung für Arzneimittel gestiegen. Insgesamt beliefen sie sich im ambulanten Bereich auf 8,5 Milliarden Franken, was einem Plus von 360 Millionen Franken (+4,4%) gegenüber dem Vorjahr entspricht. Inzwischen wird jeder vierte Prämienfranken für Medikamente ausgegeben. Die Analysen zeigen, dass neue Medikamente immer teurer sind. Oft handelt es sich bei den neuen Medikamenten jedoch nicht um Innovationen. Um die Finanzierbarkeit echter Innovationen weiterhin zu gewährleisten, braucht es neue Preisbildungsregeln und kostendämpfende Massnahmen wie Mengenrabatte. Wir schaffen Transparenz bei der Mengen- und Kostenentwicklung des Arzneimittelmarkts und dem Einsatz von Medikamenten bei zystischer Fibrose und Hepatitis C.
Medikamente sind von entscheidender Bedeutung in der Gesundheitsversorgung. Sie haben das Potenzial, den Verlauf von Krankheiten positiv zu beeinflussen, teure Spitalaufenthalte zu verkürzen oder zu verhindern und die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu steigern. Andererseits verursachen Medikamente hohe Kosten und können teilweise ihr Leistungsversprechen nicht einhalten, werden nicht nach neuesten medizinischen Erkenntnissen eingesetzt, oder sind unverhältnismässig teuer.
Unsere Zahlen zeigen, dass Medikamente immer häufiger eingesetzt werden: Es gibt mehr Personen mit Medikamentenbezügen und es werden mehr Medikamente pro Person eingesetzt. Pikant: Neue Medikamente sind oft sehr teuer und haben meistens Packungspreise von über 1’000 Franken. Nicht immer sind diese neuen Therapien besser als die bisherigen, und nur vier von 45 neuen Medikamentenwirkstoffen weisen im Jahr 2022 Innovationscharakter auf. Die Öffentlichkeit muss sich darauf verlassen können, dass keine überhöhten Preise für Medikamente bezahlt werden, insbesondere bei Pseudoinnovationen. Um das herauszufinden, braucht es einen klaren, unvoreingenommenen Blick auf die Entwicklungen. Diesen ermöglicht die Helsana Versicherung als grösste Krankenversicherung der Schweiz nun bereits zum zehnten Mal mit dem Arzneimittelreport. Die zugrundeliegende Publikation des Instituts für Pharmazeutische Medizin (ECPM) der Universität Basel steht als Download zu Verfügung. Die Bevölkerung und Entscheidungsträger erhalten mit den Analysen eine Übersicht über die Entwicklungen im Arzneimittelmarkt. Die Informationen sollen einem vernünftigen und effizienten Einsatz von Medikamenten dienen sowie eine fundierte Grundlage für gesundheitspolitische Diskussionen ermöglichen.
Diese Medikamente treiben die Kosten besonders in die Höhe.
Im letzten Jahr haben 6,8 Millionen Personen (+5,2 % mehr als im Vorjahr) 127 Millionen Medikamentenpackungen bezogen (+3,7%) und damit insgesamt Mehrkosten von 360 Millionen Franken (+4,4%) verursacht. Die Kostensteigerungen sind vor allem auf relativ neue Medikamente im Hochpreissegment zurückzuführen. Dies führt zu sehr hohen Pro-Kopf-Kosten moderner Therapien, wie beispielsweise Therapien gegen Krebs, Diabetes oder zystische Fibrose.
Krebsmedikamente verursachen mit nur 0,7% der bezogenen Packungen über eine Milliarde Franken. Moderne Monotherapien für die Behandlung von Krebs sind hochteuer und kosten heute 30‘000 Franken oder deutlich mehr pro Person und Jahr. Werden verschiedene teure Medikamente in einer Therapie kombiniert, resultieren besonders hohe Kosten.
Der Diabetesmarkt befindet sich aufgrund von neuen Therapieansätzen aktuell im Wandel. Die Volkskrankheit hat eine Kostensteigerung von 50 Millionen Franken erfahren und verursacht im Jahr 2022 Gesamtkosten von 411 Millionen Franken. Zwei neue Medikamente zur Blutzuckersenkung und Gewichtsreduktion verzeichneten starke Kostenzuwächse um +57% respektive +32%. So hat früher eine Therapie rund 650 Franken pro Jahr gekostet. Heute sind es zusätzlich 1’000 Franken. Mehr als 110’000 Personen haben diese neuen Medikamente eingenommen.
Ein neues Medikament im Bereich zystische Fibrose kostet jährlich rund 135’000 Franken pro Person. Insgesamt wurden 500 Personen damit behandelt. Die Kosten von etwa 68 Millionen Franken für ein einziges Medikament belasten das Gesundheitssystem stark und fallen jährlich wiederkehrend an.
Von Region zu Region gibt es deutliche Unterschiede bei den pro-Kopf Medikamentenkosten.
Gründe dafür sind beispielsweise die Demographie, die individuellen Präferenzen sowie Unterschiede im Leistungsangebot. Das Tessin, Teile der Nord-Westschweiz und der Kanton Genf haben 25 Prozent höhere Ausgaben pro Einwohner als ein Teil der Innerschweiz und gewisse Kantone in der Ostschweiz.
Medikamentenpreise müssen sinken – im Sinne eines Mengenrabatts.
Der Arzneimittelreport zeigt auf, dass immer teurere Produkte eingenommen werden. Wohin das führt, spürt die Bevölkerung jedes Jahr an den gestiegenen Krankenversicherungsprämien. Die für die Preisfestsetzung vorgeschriebene Formel mittels Preisvergleich von ähnlich eingesetzten Präparaten im Inland (therapeutischer Quervergleich; TQV) und den Präparatpreisen im Ausland (Auslandspreisvergleich; APV), zuzüglich eines gegebenenfalls hinzukommenden Innovationszuschlags, führt zwangsläufig zu einer Preisspirale nach oben, weil der Vergleichswert immer höher angesetzt wird. Damit die Kosten nicht weiter in diesem Masse steigen, müssen die Regeln für die Festsetzung der Preise grundsätzlich angepasst werden. Ein wichtiges Element muss sein, dass die Preise automatisch sinken, wenn ein Medikament häufiger zum Einsatz kommt – nach dem Prinzip eines Mengenrabatts.
Biologika sind Medikamente, die biotechnologisch entweder aus biologischen Organismen hergestellt oder unter Verwendung biologischer Prozesse produziert werden. Weil sie gezielt in körpereigene Prozesse eingreifen, haben Biologika in verschiedenen Therapiebereichen, wie zum Beispiel bei der Diabetes-Therapie, grosse Fortschritte ermöglicht. Da sie aber aufwendig entwickelt und hergestellt werden, sind diese Arzneimittel in der Regel teurer als herkömmliche Medikamente.
Wenn der Patentschutz eines Biologikums abgelaufen ist, können andere Hersteller Nachahmerprodukte, sogenannte Biosimilars, auf den Markt bringen. Biosimilars sind gewissermassen Generika des ursprünglichen Referenzprodukts oder auch Biologika genannt. Weil der Herstellungsprozess sehr komplex ist, sind exakte Kopien zwar nicht möglich, was allerdings auch für die unterschiedlichen Chargen der originalen Biologika gilt.
Deshalb sind ein Biologikum und die zugehörigen Biosimilars austauschbar und unterscheiden sich nicht, was ihre therapeutische Wirksamkeit, Verträglichkeit oder Sicherheit angeht. Bedenken hinsichtlich ihrer Sicherheit und Befürchtungen einer aufwändigen Umstellung vom ursprünglichen Biologikum auf ein Biosimilar sind also vollkommen unbegründet. Trotzdem ist die Zurückhaltung durch mangelndes Wissen auf Seiten der Patientinnen und Patienten sowie auch von Fachpersonen noch immer gross. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass im Jahr 2022 nur bei etwa einem Fünftel der Bezüge von Wirkstoffen, für die es Biosimilars gibt, diese auch zum Einsatz kamen.
Eine Handvoll Betroffene verursachen Kosten in Millionenhöhe. Rechtfertigt der individuelle und gesellschaftliche Nutzen solch hohe Kosten für die Grundversicherung?
Für die Behandlung der zystischen Fibrose (CF) gibt es neuartige Medikamente, sogenannte CFTR-Modulatoren» (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator-Modulatoren). Sie ermöglichen erstmals die Erkrankungsursache bei Betroffenen zu behandeln, anstatt nur Symptome zu lindern. Die Therapie wurde dadurch revolutioniert und die Lebensqualität der Betroffenen konnte deutlich verbessert werden, was zu positiven volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Effekten führt. Doch stehen diesen positiven Auswirkungen extrem hohe Medikamentenkosten gegenüber. So belaufen sich die jährlich wiederkehrend anfallenden Therapiekosten des Präparats Trikafta® auf schätzungsweise 135’000 Franken pro Person. Das entspricht einem Vielfachen der Medikamentenkosten für die CF-Behandlung in der Zeit vor Einführung der CFTR-Modulatoren. Im Jahr 2022 beliefen sich die Gesamtkosten bei Erwachsenen für sämtliche CFTR-Modulatoren auf fast 70 Millionen Franken. Weil Trikafta® viel breiter eingesetzt werden kann als die übrigen Alternativen dieser Art, fallen allein für Trikafta®-Patientinnen und Patienten 68 Millionen Franken an. Einsparungen bei anderen Medikamenten und in weiteren medizinischen Bereich wie Arztbesuche, Physiotherapie oder bei stationären Aufenthalten sind zwar vorhanden, aber im Vergleich zu den medikamentösen Kosten vernachlässigbar.
Zystische Fibrose (cystische Fibrose, CF), auch Mukoviszidose genannt, ist eine komplexe genetische Stoffwechsel-Erkrankung, für die es keine Heilung gibt. Sie erfordert deshalb lebenslange Behandlung. Der durch eine genetische Mutation gestörte Salz-Wasser-Haushalt der Zellen führt bei bestimmten Organen zur Bildung von zähem, klebrigem Schleim. Dieser Schleim verklebt die Atemwege und Infektionen werden begünstigt. Zudem blockiert der Schleim auch die Kanäle der Bauchspeicheldrüse mit Folgen für die Freisetzung von Verdauungsenzymen und die Aufnahme von Nährstoffen.
CF ist eine vergleichsweise seltene Erkrankung. Ende 2022 lebten in der Schweiz knapp 1’050 Betroffene. Die frühe Diagnose (seit 2011 Teil des Neugeborenen-Screenings) sowie der medizinische Fortschritt bei den Behandlungen und medikamentösen Therapien haben sowohl die Lebensqualität als auch die Lebenserwartung der Menschen mit CF in den letzten Jahren deutlich verbessert.
Da CF als Geburtsgebrechen gilt, übernimmt die Invalidenversicherung (IV) bis zum 20. Geburtstag der Betroffenen die Kosten sämtlicher medizinischer Massnahmen, die zur Behandlung der Erkrankung notwendig sind. Erst ab dem 21. Lebensjahr ist die Krankenversicherung zuständig. Deshalb fehlen im Helsana-Report Daten zu CF-spezifischen Leistungen für Betroffene bis zum vollendeten 20. Lebensjahr.
Immer breiter eingesetzt mit kostspieligen Folgen
Wichtige Grundlage bei der Preisfestsetzung eines neuen Medikaments ist der therapeutische Quervergleich. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) orientiert sich an ähnlichen Präparaten; im Fall von Trikafta® wohl am sehr teuren CFTR-Modulator Kalydeco®. Allerdings hinkt dieser Vergleich. Während nämlich Kalydeco® nur für einen sehr kleinen Teil der CF-Betroffenen geeignet war, kann Trikafta® bei der Mehrheit der Betroffenen angewendet werden.
Der hohe Preis für das viel breiter einsetzbare Medikament hatte zur Folge, dass Trikafta® bereits im zweiten Jahr nach Einführung mit einem Umsatz von 68 Millionen Franken neu zu den 20 kostenintensivsten Wirkstoffen zählt. Und dies bei lediglich 500 behandelten Personen. Damit ist Trikafta® Hauptverursacher des enormen Kostenanstiegs der Medikamente mit Wirkung auf das Atmungssystem. Es dürfte auch nicht dabei bleiben, denn eine weitere Mengenausweitung bei Trikafta® ist absehbar, da bereits Studien zur Anwendung bei weiteren CFTR-Mutationen als den bisher zugelassenen laufen. Und es sind weitere neue Produkte absehbar. Damit besteht einerseits für mehr Betroffene die Chance auf eine wirkungsvolle Behandlung. Eine solche Mengenausweitung muss sich aber andererseits auch im Preis widerspiegeln. Nur so bleiben die Medikamentenkosten für die Grundversicherung finanzierbar.
Mit tieferen Einführungspreisen hätten viel mehr Betroffene frühzeitig von verbesserten Therapien profitiert.
Wenn ein neuer Wirkstoff Heilung verspricht, und zwar nicht nur kurz- sondern auch langfristig, dann ist das eine grosse Errungenschaft. Früher wurde Hepatitis C mit nur bedingt wirksamen Medikamenten behandelt. Bei knapp der Hälfte der behandelten Personen wurden keine Behandlungserfolge erzielt, es traten schwere Nebenwirkungen und viele Kontraindikationen auf. Die Behandlung dauerte in der Regel 24 bis 48 Wochen. Inzwischen sind direkt wirkende antivirale Wirkstoffe (direct-acting antiviral agents, DAA) verfügbar, die eine höhere Heilungsrate aufweisen. Die neuste Generation wurde 2014 in der Schweiz zugelassen und führte nach heutigen Erkenntnissen nach acht bis zwölf Wochen Behandlung in 95% der Fälle zu einer Elimination des Virus aus dem Körper und somit zu einer vollständigen Heilung. Diese DAA der zweiten Generation sind ein Paradebeispiel für den Markteintritt einer neuen Medikamentenklasse mit deutlich verbesserten Behandlungsergebnissen. Ihre Verwendung führte zu einer klaren Steigerung der Behandlungseffizienz und zwischenzeitlich zu einem deutlichen Anstieg der Anzahl Behandlungsstarts, Pro-Kopf-Kosten und Gesamtkosten.
Weil der Einführungspreise der modernen DAA-Therapien mit knapp 90’000 Franken sehr hoch war, wurde der Einsatz anfänglich auf Patientinnen und Patienten mit stark fortgeschrittener Krankheit und substanziellen Leberschäden limitiert. Die Budgetproblematik führte zu einer Rationierung bei der Behandlung von infizierten Personen. Heute liegen die Therapiekosten bei rund 30’000 Franken. Niedrigere Einführungspreise hätten also die Limitation verhindern können. Dadurch hätten schon bei Einführung der DAA alle bekannten und behandlungswilligen Infizierten frühzeitig behandelt respektive geheilt werden können und weitere Ansteckungen wären verhindert worden.
Anzahl Therapiestarts
Pro-Kopf-Kosten (CHF)
Hepatitis C ist eine Infektionskrankheit. Sie wird durch das Hepatitis C-Virus verursacht und kann akut oder chronisch verlaufen. Die akute Infektion verläuft meist asymptomatisch oder symptomarm und geht in etwa 70% der Fälle in die chronische Form über. Die chronische Form verläuft meist ebenso symptomarm, kann aber unbehandelt nach mehreren Jahrzenten zu schweren Lebererkrankungen führen, wie beispielsweise Leberzirrhose oder Leberkrebs, und eine Lebertransplantation erfordern.
Die epidemiologische Lage von Hepatitis C in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Dennoch wurden im Jahr 2022 immer noch 1’074 neue Fälle gemeldet. Hepatitis C wird durch den Kontakt mit infiziertem Blut übertragen, zum Beispiel durch die gemeinsame Nutzung von Spritzbesteck beim Drogenkonsum, durch Bluttransfusionen oder (zahn-)medizinische Eingriffe. In der Schweiz ist der erstgenannte Übertragungsweg die Hauptursache. Im Jahr 2022 waren schätzungsweise 30’000 Menschen in der Schweiz infiziert, sie sind teils noch immer ungetestet und unbehandelt. Die Dunkelziffer ist also hoch.
Die heutigen Gesamtkosten im Zusammenhang mit Hepatitis C ergeben sich fast ausschliesslich aus der medikamentösen Behandlung und nur zu geringen Teilen aus den Kosten für andere Medikamente, Spitalaufenthalte und Arztbesuche. Das Gesamtniveau aller Kosten ist beinahe gleich wie vor der Einführung der zweiten Generation DAA. Da die neueren DAA eine Heilung ermöglichen, werden nicht nur Folgekosten vermieden, sondern auch Ansteckungen verhindert. Dadurch hat sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis für diese Medikamente verbessert. Dies bedeutet hingegen nicht zwingend, dass der Preis angemessen ist. Denn die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Vorteile sind kein Preisbildungskriterium im Bereich der Grundversicherung. Aus budgetärer Sicht sind die Behandlungskosten einer einzigen Person mit 30’000 Franken weiterhin hoch, insbesondere wegen des zeitlich stark verzögerten Hauptnutzens, also der Vermeidung schwerer Spätkomplikationen.
Die Schweizer Hepatitis-Strategie zielt darauf ab, die virale Hepatitis in der Schweiz eines Tages zu eliminieren. Um die Finanzierbarkeit dieses Ziels zu gewährleisten, sind jedoch auch weiter sinkende Medikamentenpreise wichtig. Bei den aktuellen Preisen würde nämlich allein die medikamentöse Behandlung der geschätzten 30‘000 Infizierten in der Schweiz noch immer rund 900 Millionen Franken kosten.
Weitere Informationen, beispielsweise auch zur angewandten Methodik, detaillierte Zahlen, eine Vielzahl von Grafiken und Fakten rund um die obigen sowie weitere Themen wie eine Spezialanalyse zu HIV finden Sie im Helsana-Report: Arzneimittel 2023. Insbesondere das umfassende Kapitel zur Marktentwicklung der Medikamente in Bezug auf Wirkungsmechanismus, Wirkstoff und konkretem Präparat bieten einen zusätzlichen Einblick in die angeschnittenen Themenfelder.